Trauer in der Selbsthilfe –
5 Fragen an Diana Koll

Zuletzt aktualisiert am 30. Oktober 2025

Mitarbeiter*innen und Engagierte in der Selbsthilfe erleben häufig Verlust und Trauer. Oft ist den Betroffenen nicht bewusst, welche Reaktionen und Prozesse dadurch ausgelöst werden können. Und viele wissen nicht, wie sie – in der Rolle einer Gruppenleitung – der Trauer Raum geben und gleichzeitig den eigentlichen Auftrag und Selbsthilfethemen im Blick behalten können.

 

Die systemische Trauerbegleiterin Diana Koll hat aus diesem Grund das Modul „Verlust und Trauer“ für das Programm Lernort Selbsthilfe entwickelt. Mit dem Modul möchte sie Menschen in der Selbsthilfe unterstützen, Trauer und Trauerprozesse bewusst wahrzunehmen und Möglichkeiten aufzeigen, mit Trauer umzugehen. Im Gespräch erzählt sie von Trauersituationen in der Selbsthilfe, von (für das Umfeld nicht immer nachvollziehbaren) Trauerreaktionen und der wichtigen Rolle von Trauerbegleitung.

1. Mit welchen Arten der Trauer können Selbsthilfeaktive konfrontiert sein? Wie würden Sie Trauer definieren?

Selbsthilfeaktive können mit trauernden Menschen auf verschiedene Weise konfrontiert werden. Sie können zum Beispiel Menschen begegnen, die aufgrund gravierender Veränderungen ihres Körpers, ihrer Gesundheit oder auch ihrer eigenen Persönlichkeit trauern. Es geht um den Verlust von Fähigkeiten und Kompetenzen, von Beziehungen und Menschen, von Mobilität und Selbstständigkeit. 


Für die Betroffenen und das Umfeld ist es einerseits wichtig zu verstehen, welcher persönliche Verlust oder welche Veränderung gerade betrauert wird. Andererseits müssen sie sich mit der Trauer und den möglichen Reaktionen auseinandersetzen, die in einem Trauerprozess auftreten können.

Trauer ist ein natürlicher und notwendiger Prozess.

Die renommierte Theologin Prof. Dr. Kerstin Lammer hat einmal gesagt: „Trauer ist ein individueller Prozess, der mit allen Facetten der Persönlichkeit im Innen und Außen gelebt werden darf, damit Verluste und Veränderungen ins Leben integriert werden können.“ Diese Aussage trifft es für mich ganz gut. Trauer ist ein natürlicher und notwendiger Prozess. Trauer hilft uns, einschneidende Verluste und Veränderungen zu verarbeiten.

2. Sie haben als Trauerbegleiterin schon viele Menschen in ihrem Trauerprozess unterstützt. Aus Ihrer Erfahrung: Gibt es klassische Phasen oder Gefühle, die trauernde Menschen erleben und durchlaufen?

Es gibt mittlerweile viele Trauermodelle, die versuchen, Trauerprozesse greifbar und begreifbar zu machen. In der Trauerbegleitung können sie hilfreich sein, um bestimmte Zusammenhänge aufzuzeigen, um die erlebten Prozesse zu erläutern, sich selbst besser einzuschätzen und gemeinsam weitere Schritte zu entwickeln – was sehr entlastend wirken kann.  


Einen ersten Einblick in einzelne Phasen, die Trauernde auf individuelle und sehr unterschiedliche Weise durchleben können, liefert das Modell der Schweizer Psychotherapeutin Verena Kast. Sie unterteilt zum Beispiel den Trauerprozess in vier Phasen: 1. das Nicht -Wahrhaben Wollen, 2. aufbrechende Emotionen, 3. das Suchen und Sich-Trennen und 4. der neue Selbst- und Weltbezug. Diese Phasen haben keinen chronologischen oder kalkulierbaren Ablauf und kein festes Ende. Das ist wichtig herauszustellen. Selbst wenn schon einige Zeit vergangen ist, können Trauerreaktionen aus einzelnen Phasen immer wieder auftauchen.

Alles Facetten des Trauerweges sind stets gemeinsam vorhanden.

Ein jüngeres Modell ist das Trauerkaleidoskop von Chris Paul, einer der Mitbegründerinnen der Trauerbewegung in Deutschland, das auf die Erkenntnisse und Erfahrungen aus anderen Theorien aufbaut. Chris Paul beschreibt darin sechs Facetten des Trauerns, die verschiedene Bereiche des menschlichen Lebens berühren – wie zum Beispiel die Facette des „Überlebens“, die Facette der häufig sehr intensiven „Gefühle“ und die Facette des „Verbunden bleiben“ mit dem verstorbenen Menschen. Für Trauernde und für Begleitende ist diese Visualisierung ein hilfreicher Anker im erlebten Auf und Ab eines Trauerweges. Das Trauerkaleidoskop bietet einen bewussten Gegensatz zu Trauermodellen, die aufeinanderfolgende Phasen oder Stationen eines Trauerweges annehmen. Alle Facetten des Trauerweges sind stets gemeinsam vorhanden – aber sie sind nicht alle gleich sichtbar und mischen sich zu immer neuen Strukturen.

 

In der Trauerbegleitung können all diese Facetten zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Intensität wahrgenommen werden. Oft wissen die Trauernden nicht, dass die durchlebten Gefühle, das veränderte Verhalten oder auch heftige Reaktionen zum Trauerprozess dazu gehören und was dann helfen kann.

3. Welche Auswirkungen kann Trauer haben?

Trauer kann sich auf allen Ebenen zeigen: psychisch, emotional, spirituell, körperlich oder auch sozial auf der Verhaltens- und Beziehungsebene. 

Bei den aufkommenden Emotionen ist so gut wie alles denkbar von Betäubung bis Überwältigung. Oft erleben Trauernde auch Emotionen, die ihnen fremd erscheinen – wie zum Beispiel Wut oder Zorn, Angst, Neid, Schuld und Scham, eine tiefe Traurigkeit oder Einsamkeit. Aber auch Gefühle von Dankbarkeit oder Erleichterung sind möglich, wenn zum Beispiel der vorausgegangene Leidensweg anstrengend und belastend war. 

Seelenschmerz kann sich in körperliche Schmerzen umwandeln.

Auf der psychischen Ebene berichten Trauernde oft von Unkonzentriertheit, Vergesslichkeit, Sprachlosigkeit oder depressiven Stimmungen. Dieser Seelenschmerz kann sich auch in körperliche Schmerzen umwandeln und Symptome auslösen wie Herz-Kreislauf-Störungen, Atembeschwerden, Kopfschmerzen, Verspannungen oder Haut- und Verdauungsprobleme.

 

Im Sozialen beobachten wir oft ein Verhalten, das für die Trauernden selbst oft nicht nachvollziehbar ist. Das kann alles Mögliche sein – von Rückzug und Isolation über ein verändertes Ess- und Schlafverhalten bis hin zu Aktionismus oder einer Flucht in andere Aufgaben, was im Umfeld wiederum auf Unverständnis, Hilflosigkeit, Ignoranz und Ablehnung stoßen kann. Das macht es für die Betroffenen nicht einfacher, und sie ziehen sich oft noch mehr zurück.

 

Trauer ist immer individuell. Wie intensiv der Verlust und die damit verbundene Trauer wirkt und wie sie sich zeigt, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Zum Beispiel: Um welchen Verlust handelt es sich? Wie stark ist mein soziales Netzwerk? Wie ist mein aktuelles körperliches und seelisches Wohlbefinden? Bin ich finanziell abgesichert? Über welche persönlichen Ressourcen verfüge ich, um mit den Belastungen umzugehen? Und vieles mehr.

4. Wann sollte man sich professionelle Unterstützung suchen? Wohin können sich Trauernde wenden?

Die meisten Menschen lernen mit der Zeit, mit ihrer Trauer und den damit verbundenen Reaktionen umzugehen. Für einige Betroffene können der Schmerz und die Trauer aber übermäßig belastend wirken – so sehr, dass sie in ihrem Alltag stark beeinträchtigt sind. Dann kann eine Beratung hilfreich sein. In Deutschland gibt es zahlreiche qualifizierte Trauerbegleiter*innen oder auch lokale Hospizdienste, Beratungsstellen und psychologische Praxen, die auch Trauerbegleitung anbieten. Ich würde immer versuchen, ein Angebot in der Nähe zu finden, um persönliche Treffen leichter organisieren zu können. Die Nähe ermöglicht eine regelmäßige und kontinuierliche Unterstützung und kann den Trauerprozess erheblich erleichtern. 

Der Bundesverband Trauerbegleitung bietet auf seiner Webseite hilfreiche Telefonnummern für Trauerfälle und eine Suchfunktion, über die Trauernde qualifizierte Trauerbegleiter*innen in der Nähe finden können.

5. Welches war für Sie ein besonders schönes Feedback nach einem Kurs oder einer Trauerbegleitung?

Für mich ist es immer schön, wenn Trauernde mir zurückmelden, dass sie aus der Begleitung etwas mitnehmen, das ihnen für den weiteren Weg hilft – wenn sie zum einen ihrer Trauer den nötigen Raum geben können und zum anderen den Mut und die Zuversicht finden, wieder ins Leben zu gehen.

Das Modul „Verlust und Trauer“ ist Teil des Programms Lernort Selbsthilfe. Es vermittelt Kenntnisse über Trauermodelle, -formen, -reaktionen und -prozesse und hilft dabei, sowohl eigene Erfahrungen als auch Trauersituationen in der Selbsthilfe einzuordnen und besser zu verstehen. Leiter*innen von Selbsthilfegruppen lernen unter anderem, sich mit ihrer Rolle auseinanderzusetzen und Grenzen im Rahmen einer Trauerbegleitung zu ziehen. Außerdem zeigt das Modul Anwendungsbeispiele für eine hilfreiche Kommunikation sowie für Methoden und Rituale in der Trauer auf.

 

Mehr zum Modul und zu Lernort Selbsthilfe erfahren Sie hier.